Erste Bürgerwerkstatt zum ISEK Baiersdorf

Auf der Website der Stadt “19:00 Uhr bis 22:00 Uhr” angekündigt, doch tatsächlich dann nur bis 21:00 Uhr dauernd, veranstaltete die Stadt Baiersdorf am 21.09.2019: “ISEK – Erste Bürgerbeteiligung in der Jahnhalle”.

Auf dem Weg zu einem ISEK für Baiersdorf fanden sich also ein gutes Hundert interessierte Bürger und kommunalpolitisch Aktive ein. Mit seinem Intro, der Bundestag beschäftige sich “heute Abend auch mit dem Thema Wohnen” verriet der Bürgermeister gleich zu Beginn, wohin für ihn die Reise gehen soll.

Herr Fladt vom durchführenden Büro “UmbauStadt” eröffnete die Veranstaltung: ISEK sei ein Prozess, an dessen Ende keine verbindliche Planung steht, sondern ein Leitfaden (“Leitplanken”). Tenor war, dass man die Bürger mitnehmen und beteiligen wolle, um gemeinsam und ergebnisoffen die Zukunft Baiersdorfs zu erörtern. Dafür sei dieser Termin die erste Bürgerwerkstatt. Dass es mit der Unvoreingenommenheit und Ergebnisoffenheit nicht weit her war, wurde allerdings schnell deutlich, nachdem Herrn Fladts Mitarbeiter Berg übernommen hatte. Wieder einmal wurde die alte Mär aufgelegt, “viele Menschen wollen nach Baiersdorf ziehen” – also müssten Wohnbauflächen geschaffen werden. Doch wer in der Metropolregion eine Wohnung sucht, dem ist es erst einmal völlig egal, ob sie in Baiersdorf oder woanders findet. Für die Baiersdorfer ist es dagegen sicher wichtiger, die Lebensqualität in ihrer Heimatgemeinde zu verbessern, als eine Immobilienreserve für die Metropolregion zu bieten.

Die bereits vor einigen Wochen von “UmbauStadt” durchgeführte Haushaltsbefragung hatte zu der Frage, ob weitere Wohnbau- und Gewerbeflächen ausgewiesen werden sollen, die niedrigste Zustimmung ergeben – nur noch unterboten von den Ergebnissen zu der Frage, ob der Autoverkehr gefördert werden soll. Entgegen den Ankündigungen und entgegen diesen Ergebnissen wurden den Bürgern für den ISEK-Prozess dann sehr wohl Vorgaben zur Bauflächenbeschaffung gemacht:
So stellte Herr Berg die ebenso banale wie völlig unzeitgemäße Annahme in den Raum, Baiersdorf werde bzw. solle in der Zukunft genauso weiter wachsen wie in den letzten Jahrzehnten – damit die vielen Vereine und die Feuerwehr Nachschub bekämen, wie er dem verblüfften Publikum weiter erklärte. Diese einfältige Idee stammt wohl kaum von ihm. Uli Sammet und Karl-Heinz Roll kritisierten unter verschiedenen Wortmeldungen die sturheile Fortsetzung des Wachstums, aber Herr Berg zeigte trotzdem und unerschütterlich eine bereits ausgearbeitete Karte mit Fokus auf neuen Bebauungsflächen um die östlichen Ortsteile.

Das heizte die Diskussion weiter an, so dass Herr Fladt eingriff und versuchte, die Wogen mit mehrheitsfähigen Floskeln zu glätten, wie “… Freiflächen schützen … Brachflächen bebauen … erst einmal nur ein Anfang … ausgefranste Ortsränder arrondieren …” . Gleichzeitig zeigte die Grafik hinter ihm das exakte Gegenteil, nämlich in Form eines völlig neuen, mehrere Hektar umfassenden, östlich an die Hut gepappten Baugebietes – mitten im Ablaufbereich der sogenannten Nordableitung – und dem Pendant auf Hagenauer Seite, wo sich wie eine Truppe Pac-Mans gleich 3 Baugebiete – wohin wohl? na klar – nach Westen bewegten. Offensichtliches Ziel : Anschluss der Ortsteile, Komplettbebauung aller Freiflächen zwischen den Ortsteilen. Keine Spur von “Arrondierung ausgefranster Ortsränder”, nichts zu erkennen von der eingangs mit vielen Worten betonten Komplexität, dem Zusammenhang von “allem mit allem”. Die Frage “Wie wollen wir in Zukunft in Baiersdorf leben?” oder konkreter “Wollen wir wachsen?” war überhaupt nicht gestellt worden. Stattdessen ging es nur um “Wo wollen wir bauen?”. Auch die ausgestellten Analysen und daraus abgeleiteten Vorschläge waren vorgefasst, allerdings könne sich da auch noch etwas ändern, wie Herr Fladt mit Blick auf die kommenden Bürgerbeteiligungen betonte.
Bei den ebenfalls vorgegebenen “Handlungsfeldern” waren die Worte “Natur” oder “Klimaschutz” jedenfalls nicht zu finden. Auch “Soziales” wurde zu wenig thematisiert: Wie wird dem demografischen Wandel begegnet, werden die veränderten Bedürfnisse der verschiedenen Altersgruppen in künftiges stadtplanerisches Handeln einfließen?

Wie kann die Bürgergesellschaft, das Gemeinschaftsgefühl, die Solidarität mit Minderheiten und sozial Schwachen gestärkt werden, auch jenseits von Vereinsmitgliedschaften und Feuerwehrfesten? Die sogenannte Werkstattphase eröffnete Herr Fladt mit der Ermunterung an alle Anwesenden, sich vielfältig zu den ausgehängten Analyse-Ergebnissen und daraus gezogenen Schlussfolgerungen zu äußern – leider so langatmig, dass die ohnehin nur mit 40 Minuten geplante Phase auf rund 30 Minuten geschrumpft war.

Dennoch war das der schönste Teil des Abends, weil man erleben konnte, wie sich hier eine lebendige Bürgerschaft leidenschaftlich mit der Zukunft ihres Heimatortes beschäftigt.

Kommentare wurden geschrieben, zustimmende und ablehnende Kleberle verteilt, geschaut, kommentiert und diskutiert. Herr Fladt beendete die Werkstattphase mit der Ankündigung, man wolle die Ergebnisse fotografieren und auswerten.
Das klang vielversprechend. Doch die kalte Dusche folgte auf den Fuß, als Herr Fladt erklärte, die Äußerungen der rund 100 Anwesenden könnten natürlich nicht repräsentativ für rund Achttausend Einwohner sein.

Also alle Mühe umsonst? Die Gefahr besteht schon, daß damit die Deutungshoheit der Ergebnisse wieder heim ins Rathaus geholt wird, nach dem Muster:
Wenn uns die Ergebnisse passen, finden wir es toll, weil das ja von den Bürgern kam. Und wenn die Ergebnisse unliebsam sind, dann ist das Ganze ja sowieso nicht repräsentativ. Dem könnten die Bürger*innen am besten vorbeugen, wenn bei der nächsten Bürgerwerkstatt noch viel mehr Interessierte mitmachen.

Winfried Platz

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